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Titel
Kastelle. Architektur der Macht


Autor(en)
Schicht, Patrick
Reihe
Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte 162
Erschienen
Petersberg 2018: Michael Imhof Verlag
Anzahl Seiten
621 S.
Preis
€ 49,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Wozniak, Institut für Geschichtliche Landeskunde und Historische Hilfswissenschaften, Eberhard Karls Universität Tübingen

Mit dem Begriff Kastell bezeichnet Patrick Schicht „regelhafte, im Idealfall quadratische Anlagen mit mehreren Türmen in Ecklage“ (S. 10, 532). Der Autor, Gebietsreferent beim Österreichischen Bundesdenkmalamt, Abteilung für Niederösterreich, hat sowohl in Architektur wie in Kunstgeschichte promoviert. Der Aufbau des gewichtigen Bandes besteht zu 90 Prozent aus einer katalogartigen Inventarisation – über 800 Kastelle unterteilt in 27 Reiche oder Regionen – und zu einem Zehntel aus einer kurzen Auswertung. Der zeitliche Rahmen reicht dabei von den frühen Hochkulturen des 4. Jahrtausends vor Christus bis zu den Kastellen der Renaissance bzw. des 16. Jahrhunderts, wobei die Beispiele, wie zu erwarten, höchst ungleich verteilt sind. Die zahlreichen beigegebenen Grundrisse werden immer wieder durch anschauliche fotografische Panoramaansichten, aber auch Reliefe oder Graffiti ergänzt. Die chronologisch-topographische Unterteilung scheint dabei pragmatischen Erwägungen zu folgen, ist jedoch nicht in allen Fällen („Königreich Deutschland“) nachvollziehbar. Auch die Auswahl der Beispiele führt einige mit auf, die sich nur schwer mit der genannten Definition in Übereinstimmung bringen lassen.

Im Einzelnen werden 25 Anlagen der ersten Hochkulturen (S. 13–26) besprochen, die bis ins 4. Jahrtausend vor Christus zurückreichen, während die 16 Kastelle des ägyptischen Reiches (S. 27–40) auffallend häufig in die 12. und 19. Dynastie datieren. Die acht Kastelle der griechischen Reiche (S. 41–46) wie die zwei im Königreich der Daker (S. 53–56) seien, so Schicht, noch nicht ausreichend erforscht und von den Kastellen des Königreichs Juda (S. 47–52) heute nur noch wenige fassbar.

Am stärksten der Definition planmäßiger Kastellanlagen entspricht der Typ des Castrum Romanum. Die Auflistung von über 90 Anlagen beschränkt sich überwiegend auf das römische Kaiserreich (S. 57–114), welches nach Kaisern weiter untergliedert wurde. Auffällig stark weichen einige dieser Beispiele (Bosman, Hexamilion, Mailand) vom Kastelltyp ab. Die zehn Kastelle des neupersischen Königreichs (S. 115–123), meist aus dem 6. Jahrhundert, die entlang linearer Abgrenzungen lagen, entsprechen dagegen alle der Definition. Demgegenüber passen von den 104 unter „Islamische Reiche“ (S. 123–172) zusammengefassten Anlagen, die weiter unterteilt sind nach Kalifen, Regionen (Spanien, Sizilien) oder Herrscher- bzw. Volksgruppen (Seldschuken, Mongolen, Osmanen, Mamluken, etc.), nicht alle in das Definitionsschema. Die sechs besprochenen Kastelle des Kaiserreichs China (S. 173–178) datieren in einen sehr groß erscheinenden Rahmen zwischen dem 2. Jahrhundert vor und dem 16. Jahrhundert nach Christus, wobei deren „wissenschaftliche Erforschung […] in westlichen Publikationen bescheiden“ sei (S. 173). Im Abschnitt zu den 17 kastellartigen Anlagen des Kaiserreichs Byzanz (S. 179–188) zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert wird auf deren große Diversität aufgrund ihrer Grenzlage hingewiesen. Noch stärker komme dieser Aspekt bei den Kastellen im Vorderen Orient zur Zeit der Kreuzfahrer (S. 189–216) zwischen 11. und 13. Jahrhundert zum Tragen. Von den 37 besprochenen Anlagen liegen einige weit außerhalb der genannten Region in Spanien und Portugal. Mit den archäologischen Resten von „Belvoir“ enthält es eines der bekanntesten Beispiele dieses Kastelltyps überhaupt.

Die 13 Kastelle der normannischen Reiche (S. 217–230) des 11./12. Jahrhunderts befinden sich vor allem in Italien und England, während für das Königreich Frankreich (S. 231–258) im 14./15. Jahrhundert 50 kastellartige Anlagen vergleichen werden, darunter so bekannte wie der Louvre, Carcassonne oder Saumur. Die 78 unter der Überschrift „Königreich der Plantagenêt“ (S. 259–306) betrachteten Kastelle des 12. bis 14. Jahrhunderts befinden sich in Frankreich, England, Irland und Wales. Acht Kastelle des 13. Jahrhunderts werden für das „Königreich Schottland“ (S. 307–314) und 59 Kastellen der iberischen Königreiche (S. 315–342) des 12. bis 15. Jahrhunderts behandelt. Die 27 Kastelle des staufischen Reiches betreffen Süditalien (S. 343–366) im 13. Jahrhundert und führen auch den wohl bekanntesten staufischen Bau Castel del Monte an, der aber achteckig ist. Die 89 Kastelle im „Königreich Deutschland“ (S. 367–416) umfassen die Regionen Österreich, Rheinland, Niederlande und weitere Gebiete im 13./14. Jahrhundert. Dass diese fragwürdige topographische Zusammenstellung nicht näher erläutert oder reflektiert wird, scheint schwierig. Für das Königreich Böhmen (S. 417–424) werden 13 kastellartige Anlagen des 13. Jahrhunderts besprochen, ebenso viele für das Königreich Ungarn (S. 425–436) im 14./15. Jahrhundert, sechs des Fürstentums Moldau (S. 437–442) und fünf des Königreichs Neapel (S. 443–448). Unter „Königreich Italien“ (S. 449–494) werden dann 88 Kastelle vor allem italienischer Stadtstaaten des 14. Jahrhunderts aufgelistet. Insgesamt ist in dieser Gruppe die Zahl der von einer strengen Definition abweichenden Beispiele am höchsten. Abschließend sind noch vier Kastelle des Königreichs Dänemark (S. 495–498), neun des Königreichs Schweden (S. 499–504) jeweils aus dem 13./14. Jahrhundert, 22 des Deutschen Ritterordens (S. 505–526) und sieben des Königreichs Polen (S. 527–531) aufgeführt.

In den beiden anschließenden Abschnitten werden die Ergebnisse chronologisch zusammengefasst (S. 532–594) und ausgewertet (S. 595–606). Bei der Frage, ob sich der Kastelltypus in einer langen Traditionslinie oder polygenetisch entwickelt habe, betont Schicht, dass es sich bei den Kastellen um „eine durchaus komplexe Kombination von regelmäßigen Mauergeviert mit mehreren Türmen an den Außenfronten“ (S. 595) handele. Insgesamt ließe „sich eine bemerkenswerte und ungeahnt stringente lineare Tradition von den frühesten Hochkulturen bis in die Neuzeit vermuten“ und dass „unabhängige Polygenesen auszuschließen sind“ (S. 600). Beim Verhältnis unterschiedlicher Bauherren zu den gewählten Bautypen geht der Autor von einer „symbolhaft aufgeladenen Architektur“ aus, „die als explizit monarchistisches ‚corporate design‘ dienen konnte“ (S. 602). Die Frage, ob Kastelle als typische Grenzmarkierungen anzusehen sind oder auf die topographische Voraussetzung einer freien ebenen Fläche antworten, bleibt aufgrund uneinheitlicher Beispiele offen.

Mit einem ausführlichen Literaturverzeichnis (S. 607–620) schließt der Band ab, dem aber leider ein Ortsregister fehlt. Dadurch ist bedauerlicherweise nur ein sehr begrenzter systematischer Zugriff auf die inventarisierten Burganlagen gegeben.

Fazit: Das Werk stellt mehr als 800 ausgewählte Befestigungen vor, die mehrheitlich einer regelhaften, idealerweise quadratischen Anlage mit Ecktürmen entsprechen. Der große zeitliche Schnitt, wie auch das weite Betrachtungsgebiet ermöglichen umfangreichen räumlichen und zeitlichen Überblick über die Verbreitung dieses Bautyps. Angesichts von über 40.000 Burganlagen allein in Mitteleuropa1 erscheint der Typ der quadratischen Kastelle aber als kleine Minderheit. Problematisch scheint insgesamt die teilweise schwer nachvollziehbare topographische Sortierung nach einzelnen „Reichen“ und die Einbeziehung zahlreicher von der Kastell-Definition stark abweichender Burgen. Da das monumentale Werk aber alle Einzelbeispiele in katalogartiger Beschreibung und Grundriss vergleichbar darbietet, ist für ähnliche Studien zu anderen Bautypen und Bauentwicklungen eine gute Anschlussfähigkeit gegeben.

Anmerkung:
1 G. Ulrich Großmann, Die Welt der Burgen. Geschichte, Architektur, Kultur, München 2013, S. 15.

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